Ich sitze in einem Konstanzer Eiscafé auf der Markstätte, die ich als energetische Hauptschlagader dieser Stadt empfinde. Hier fliesst, nach meinem Empfinden, dieser Storm der kraftvollen männlichen Energie des Tuns, des Schaffens, des Krieges und der Wirtschaft bis hinunter zur Imperia. Heute strömt ein besonderer Fluss durch diese Ader. Ich höre Tröten, Gesang, Gegröle, ab und zu auch klirrende Scherben einer Flasche. Ich sehe Menschen, die in schwarz-rot-goldene Fahnen gekleidet sind und sich ebensolche Farben ins Gesicht gemalt haben. Ich sehe seltsame Kopfbedeckungen, die diese Menschen im „wirklichen Leben“ niemals tragen würden. Menschen begegnen sich, erkennen einander als Fans, reissen die Arme hoch und freuen sich gemeinsam. Wildfremde Menschen fallen einander in die Arme.
Fussball heisst der Gott, der diese Menschen heute antreibt – Deutschland hat in dem Viertelfinale der Weltmeisterschaft 4:0 gewonnen. Nun könnte ich mich angesichts solcher Szenen kritisch äussern über menschliche Merkwürdigkeiten und Gruppenphänomene. Doch ich ziehe es vor, über die Sehnsucht zu schreiben – über die Sehnsucht der Menschen, die ich hier hinter dem Ganzen spüre. Weiterlesen „Fussball-Fans oder: Die Sehnsucht nach dem WIR und nach dem Leben“